Aufgepasst!
Gastautorin LaTina schreibt wieder mit viel Ironie und Gefühl aus ihrem Mütteralltag – viel Spaß beim Lesen 🙂
Gestern haben wir eine Sendung von Herrn von Hirschhausen gesehen. Wie oft, ging es auch gestern ums Älterwerden, um die Umwelt, um verschiedene Lebensweisheiten und darum, das Leben so anzunehmen, wie es kommt. Ganz nach dem Motto: gibt das Leben Dir Saures, dann sorge dafür, dass der Whiskey schon dasteht.
Es gibt viele Widrigkeiten im Leben – Schlafmangel, verpasste Flugzeuge, schlechtes Essen … nur um ein paar zu nennen. Gar nicht zu reden von den wirklich schlimmen Dingen, die einen meist unerwartet und mit voller Wucht treffen. Vor zwei Jahren beispielsweise hat einer meiner Freunde seine Tochter verloren. Ganz unerwartet, ganz plötzlich, war sie von einem auf den anderen Moment nicht mehr da. Er und seine Familie leiden bis heute unter diesem Trauma und es wird in einem langen Leben immer um ein „vor ihrem Tod“ und „nach ihrem Tod“ gehen.
Glücklich also wenden wir uns unseren Töchtern zu, danken Gott für ihr Dasein, umarmen sie und schwören uns, immer und ewig auf sie aufzupassen. Glücklich sind diejenigen, die eine gesunde Tochter zu Hause haben und noch glücklicher diejenigen, die das zu schätzen wissen.
Vielleicht ist das jetzt auch sehr ungerecht, aber letztendlich benötigen wir große Tragödien, um uns in dieser Welt immer wieder aufs Neue zurechtzufinden, zu fokussieren und uns immer wieder zu bedanken bei unserem Schicksal, bei Gott und der guten medizinischen Versorgung, dass unsere Töchter und Söhne jeden Morgen aufs Neue mehr oder weniger gesund aus ihrem Bett krabbeln.
Interessanterweise blicken wir immer in eine weite Zukunft, wenn wir an unsere Kinder denken. Wir denken immer daran, dass man sie „groß bekommen muss“ und dass sie später einmal als erwachsene Person ihr Leben meistern müssen – und das denken wir, sobald das kleine Wesen geschlüpft ist.
Wie oft halten wir inne und genießen die Zeit, die wir gerade
gemeinsam durchleben?
Wie oft sehen wir uns das Kind an und freuen uns auf gemeinsame Stunden oder Minuten mit ihnen? Ohne irgendwelche Aktionen oder großartige Events zu
planen? Selten. Wir wollen ja, dass es den kleine Wutzis gut geht und dass sie sich an eine möglichst schöne und fröhliche Kindheit erinnern.
So organisieren wir, so planen wir, so veranstalten wir. Und vergessen dabei die gemeinsame Zeit wirklich zu genießen, setzen uns unter Stress und Hektik.
Warum?
Weil wir meistens einen Job, oder einen Nebenjob haben, eine erotische und heißblütige Ehefrau und Geliebte sein zu müssen und immer was G`sundes auf den Tisch bringen sollten. Wir möchten gerne autark, selbständig und vorbildhaft sein für unsere Töchter, wir möchten gerne, dass sie selbstbestimmt leben und selbstbewusst lieben sollen – möglichst mit einem großen Sackel voller Geld.
Logisch, wir wollen nicht mehr, wie unsere Mütter und Großmütter leben und möchten auch, dass unsere Töchter nicht unter der Fuchtel eines Mannes stehen und ihr Wissen und ihre Bildung auf dem Arbeitsmarkt anwenden können.
Das Gleiche gilt natürlich auch für die Herren der Schöpfung. Die armen Kerle müssen alles können. Nicht nur süß und nett sein, nein! Auch intelligent, clever, sportlich und verständnisvoll sein – ein ganzer Kerl halt.
Halbe Portionen haben keinen Platz in der Welt der Perfekten – und das sind sie ja alle – hört man die Loblieder der Mütter über ihre Söhne.
Vorgestern habe ich einen Film gesehen: „Geschlossene Gesellschaft“. Wer jetzt denkt, ich hänge meine Freizeit nur vor dem Bildschirm, der irrt nicht. Ich liebe gute Filme und bin, im Gegensatz zu meinem Mann, ein großer Fan von Netflix.
In diesem besagten Film geht es um einen Schüler, dem ein Punkt fehlt, um zum Abitur zugelassen zu werden. Am Ende sieht der junge Mann ganz von alleine ein, dass sein Weg vielleicht ein anderer ist, als der, das Abitur zu schreiben und verschwindet erst einmal für ein paar Wochen zum Surfen, um sich zu überlegen, wie es denn weitergehen soll.
Ja, vielleicht ist es so, wie in dem Film. Vielleicht muss man dem Lauf der Dinge einfach ihren Lauf lassen. Jedenfalls habe ich heute Abend meinen Sohn von der U-Bahn abgeholt und auf dem Weg nach Hause musste ich ihm durch die Haare fahren und ich war furchtbar stolz auf ihn, auf seine Sturheit, auf seine schnodderige Art, auf sein ganzes Ich.
Er mag es nicht, wenn ich sowas mache: „Mama, Du immer mit Deinem Rumgehample“, aber ich habe es geliebt in diesem Moment – ein Moment nur er und ich und Kim Wilde im Radio.
Ja, vielleicht ist Abitur nix für ihn und vielleicht ist es jeden Morgen eine Qual für ihn, in diese vermaledeite Schule zu gehen. Vielleicht ist es seine Bestimmung als Barkeeper auf Hawaii zu arbeiten und sich dann irgendwann mit einer hübschen Ische am Strand irgendwo in dieser Welt eine kleine Bar zu kaufen, wo er dann genau denen einen leckeren Cocktail serviert, die hier in Deutschland einem erfolgreichen Job hinterherhechten.
Ich weiß es wirklich nicht, wohin sein Weg gehen wird. Er ist nicht doof und er wird ihn finden SEINEN Weg. Genauso, wie unsere Tochter, die einfach sehr gut in der Schule ist, die genau weiß, was und wie viel sie lernen muss, um erfolgreich zu sein, in dem, was sie tut. Sie ist bildhübsch, intelligent und hat einen schönen überschaubaren Freundeskreis.
Und nur weil wir denken, dass Abitur, ein Studium und ein sicherer Job der einzige richtige Weg ist, um ein Leben lang glücklich zu sein, heißt das noch lange nicht, dass es auch der richtige Weg für alle ist.
Egal, was wir uns vorstellen und egal, wie sicher wir leben und leben wollen, wir dürfen die Belange, die Stärken und die Schwächen unserer Kinder nicht ignorieren.
Halt geben, wo sie ihn benötigen, Freiraum lassen, wo sie ihn benötigen. Lassen wir sie ihre eigenen Entscheidungen treffen. Gut, möchte jemand als Junkie irgendwo unter der Brücke leben, dann wäre Durchgreifen natürlich angebracht, aber wenn jemand so gar nicht für Schule und Bücher gemacht ist, dann sollen wir ihm das nicht „anerzwingen“, auch wenn wir ihn schon als erfolgreichen Rechtsanwalt in einer In-Kanzlei sehen.
Dieses Verhalten setzt sehr viel Zurückhaltung unsererseits voraus. Es setzt sehr viel
Vertrauen in unsere Kinder und den Mut, ihre eigenen Entscheidungen treffen zu können, voraus … und es setzt voraus, dass der Weinkeller und die Süßigkeitenschublade immer gut gefüllt sind.
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