Mütter und Abitur
Unsere Gastautorin LaTina war wieder am Werk. Lest jetzt und hier von ihren Erfahrungen mit einem Abiturienten im eigenen Haus…
Was ist der innere Kritiker?
Es ist ein komisches Gefühl, einen Abiturienten im Haus zu haben – also in seinem Schlafzimmer zu haben. Nicht dass sich an diesem Zustand in den letzten Jahren etwas geändert hätte – nein, ganz im Gegenteil. Tagelang verbringt er dort und nur die Lust auf Feierlichkeiten (Big Partys, Kirchweihen, o.ä.) oder das weibliche Geschlecht treiben ihn aus seiner Höhle. Gäbe es das nicht, der Gute würde in seinem Zimmer mit dem Bett verwachsen – ähnlich denen, die in „Fluch der Karibik“ mit dem Schiff verwachsen und irgendwann ein Bestandteil des Schiffes werden.
Während die Tochter sich auf jede Schulaufgabe mehr oder weniger akribisch vorbereitet (und mit entsprechenden Noten belohnt wird), ist mein Sohn davon überzeugt, dass sich ohne ihn und sein Abitur, die Welt nicht mehr drehen würde. Gemacht hat er nicht wirklich viel – gut in Mathe hat er „reingehasselt“ und zum Schluss auch noch ein bisschen in Geschichte – aber die Gutmütigkeit der Lehrer, die ihn Jahr für Jahr weitergeschoben haben, wird schon auch für das Abitur gelten – meint er. Mein Vertrauen in die Hochwertigkeit eines bayrischen Abiturs ist in den letzten paar Wochen geschrumpft. Wie kann jemand, der in ab der 8. Klasse, jedes Jahr mit mindestens (!!) drei Fünfern im Zwischenzeugnis dastand, in der Zwölften ein bayrisches Abitur schreiben? Bremen, ja klar, das geht, aber Bayern?
Aber es ist, wie es ist. Er hat von fünf Prüfungen alle fünf gemacht und wird, mit sehr großer Wahrscheinlichkeit, in Mathe in die Nachprüfung gehen. Ob ihm die Lehrer in der Nachprüfung die nötigen Punkte geben, weiß ich nicht. Mein Mutterherz baut da natürlich drauf; mein logisch denkendes Herz meint, es wäre besser, er bekommt endlich die Lektion, die er seit Jahren verdient hätte. Ich bin mir sehr sicher, dass viele Lehrer mit einem kalten Schauer an ihn zurückdenken. Aber es wird auch den ein oder andern geben, der sich gerne an den Vollchaoten zurückerinnern wird, der das ein oder andere Mal das komplette Schulhaus auf den Kopf gestellt hat.
Nicht nur heute bin ich gefragt worden, wie ich denn das Abi meines Sohnes feiern werde – ich hätte es mir ja redlich verdient. Tja, ich weiß es noch nicht. Sollte er wirklich das Wunder vollbringen und das Abi in diesem Jahr schaffen, dann werde ich ihm zuerst mit Anlauf in
seinen Allerwertesten treten. Danach mich dem Genuss von unzähligen Gin Tonics hingeben.
Und beides werde ich auch dann tun, wenn er durchfällt.
Gerade hoffe ich einfach nur darauf, dass er es schaffen wird – egal ob mit, oder ohne Nachprüfung. Hat er es nicht bis jetzt bewiesen, dass er ein gutes Pferderl ist und nur so hoch springt, wie er muss. Drei Fünfer im Zwischenzeugnis? Keine Panik, im Endzeugnis steht da nur noch eine! Und was war – er hatte recht.
In all seinen Schuljahren ist er nicht ein einziges Mal sitzen geblieben – und das ist eigentlich schon mehr, als wir uns jemals erträumt haben. Diejenigen, die in den Jahren Federn gelassen haben, sind ich und mein Mann. Ich fühle mich gerade so wie eine der Vogelmamis, die nach der Brutsaison deutlich abgemagert und zerfleddert daherkommen. Nur, dass ich in diesen Jahren nicht abgenommen, sondern ca. 20 Kilos zugenommen habe und mittlerweile eine vergrößerte Leber habe – dank des Trostalkohols.
Rückblickend kann ich sagen, dass wir sehr eng hinter unserem Sohn standen und dass diese Zeit für uns alle sehr lehrreich war. Wir wissen jetzt, wer unsere Freunde sind und wer nicht, und wir wissen, was wir als Familie gemeinsam leisten können. Es war nie ein Thema, ob
oder ob wir nicht etwas mit ihm durchziehen. Für uns war klar, unser Sohn, da müssen wir alle durch, auch wenn es uns mehr als nur Geld kostet. Krallen schärfen, Reißzähne polieren und los. Ungerecht? Übertrieben? Sinnlos? Egal, ab mit Gebrüll in den Kampf.
Für mich als Vollzeitmutter war es nicht immer einfach, emotional mit all dem, was uns unser Sohn beschert hat, umzugehen. Und oft ist meinem Mann von einem sehnsüchtigen Blick verfolgt worden, wenn er früh das Haus verlassen hat, um am Abend wieder heimzukommen. Nicht, weil er mir so schrecklich gefehlt hätte – nein. Aber gerne hätte ich mit ihm getauscht. Seine Praxis war oft ein verheißungsvolles Paradies in meinen Augen.
Fakt ist: wer Kinder in die Welt setzt, darf nicht davon ausgehen, dass immer alles TipiTopi ist und die laufenden Erbanlagen nur darauf bedacht sind, ihre Eltern mit guten Noten und sportlichen Erfolgen glücklich zu machen. Wer Kinder will und Kinder macht, muss auch mit den entsprechenden Konsequenzen leben und die sehen auf den ersten Blick nicht immer nach großem Erfolg aus. Wahrscheinlich werden die Hochbegabten und Größen unserer Mitte auch „nur irgendeinen“ Job machen, der sie mehr oder weniger ausfüllt. Die
wenigsten werden Geld scheffeln, ohne etwas zu arbeiten, oder Herzchirurg/in werden. Und auch wenn jetzt die Augen der ein oder anderen engagierten Mama groß werden – das ist die harte Realität, mit der wir uns alle auseinandersetzen müssen: Unsere Kinder sind auch nur Menschen und glücklich lacht derjenige, der eines Tages mit einem Lächeln auf den Lippen, seinen Sargdeckel schließt. Gebt Euren Kindern Kraft, Vertrauen und Respekt mit auf ihren Lebensweg. Erzieht sie, ohne sie zu erziehen und schaut Eure Kinder immer ganz bewusst an. Wo könnt ihr unterstützen, wo schafft er/sie/es alleine. Und ganz wichtig: sagt ihnen hin und wieder, was sie für tolle Typen sind und wie sehr ihr euch freut, gemeinsam diesen Weg zu gehen.
Das ist so wichtig und die Kinder wissen, dass wir Eltern auch nur Menschen sind – aber Menschen mit dem Herzen auf dem richtigen Fleck.
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