Bei unserer Gastautorin LaTina wird es heute persönlich und gesellschaftskritisch. Wie immer mit viel Sarkasmus und Humor – lies das, es lohnt sich:
Vor Kurzem begegnete ich einer Fußball-Mami, auf deren T-Shirt groß die Letter „JUNGENSMAMA“ prangten. Mein erster Impuls war, sie feste in den Arm zu nehmen und zu sagen: „Alles gut! Hauptsache gesund.“
Natürlich habe ich das nicht gemacht, ich kenne diese Mami und ich kenne ihre Jungens und ich finde alle recht nett.
Während des einen oder anderen Fußballspiels am Spielrand hat sie mir einmal verraten, dass sie nach zwei Jungens keine Lust auf weitere Kinder hatte – die Gefahr eines weiteren Jungen war ihr zu groß und so hat sie sich arrangiert mit ihren zwei „boys“.
Wie gesagt, ich kennen ihre Jungens und Wörter wie „lieb“ und „brav“ kommen in ihrem Vokabular nicht vor, somit konnte ich dieser Aussage eine gewisse Neigung zur Selbstliebe zuordnen. Ich kenne aber auch Muttis, die den Mut hatten, nach zwei Söhnen ihr Glück nochmal herauszufordern und prompt mit einem 3. Sohn gesegnet wurden.
Chapeau! Meine Heldinnen des Alltags!
Bubenmütter wissen, wie das Leben mit Jungens ist, logisch – sie kennen es ja nicht anders. Aber ist es wirklich so sehr viel anders, als das Leben mit Mädchen oder das Leben mit einem „Pärchen-Geschwisterpaar“?
Sind Jungensmütter automatisch gestresster, als andere Mütter?
Grundsätzlich muss ich aber sagen, dass gerade mein Bub ein menschlich gewordener Grillanzünder war/ist. Egal wo er auftaucht, hinterlässt er verbrannte Erde. Somit kann ich auch nur aus meiner Sicht diese Frage beantworten.
Nehmen wir nur einmal das Beispiel Spielplatz. Wir sehen es alle vor uns. Sandkasten, Rutsche, Kinder und andere Mütter. Erreichst Du mit Deinem Jungen diesen Ort, siehst Du, wie die Gesichter der Mädchenmütter langsam entgleisen.
Junge!!! Oh mein Gott!!! Junge!!!
Du hast das Gefühl, dass Du nicht einen kleinen Jungen an der Hand hältst, sondern einen kampflustigen Pitbull, der schon Ausschau nach seiner ersten Mahlzeit hält.
Jungens spielen nicht, Jungens beweisen sich – meiner halt. Und zielsicher rotten sich die wildesten Kerle zusammen – gerade so, als würden sie alle ein großes Schild hochhalten: „HIER! Wild, frech und ungebändigt“. Und auch wenn Feuerwaffen, Stich- und Hiebwaffen aller Art nur bedingt Einzug in Deinen Haushalt erhalten haben, siehst Du Deinen Sohn, wie er mit einem Stock gerade 6 andere Jungens niederballert, ohne darauf zu achten, dass er eine Puppenmama mitsamt selbstgebackenem Sandkuchen über den Haufen rennt.
Und das alles bahnt sich nicht über den Verlauf eines Nachmittages an. Nein, keine 3 Minuten sind vergangen und Du stehst schon das erste Mal vor den Scherben Deiner Erziehung.
Hat die Puppenmama den Übergriff überlebt, geht es auch schon los. Zusammengerottet fallen die Mütter der braven, ruhigen und lieben Kinder über Dich her. Über Dich, weil die anderen Mütter der eben noch ballernden Jungens, entweder kein Deutsch verstehen (oder so tun), weil sie hervorragend Deutsch sprechen, aber geschickt mit dem Hintergrund verschmelzen, oder weil die anderen Mütter Väter sind, die die Sachlage eh komplett falsch einschätzen und beratungsresistent sind. Also bist du dran.
Die Horde superschlauer, sehr besorgter pädagogisch ausgebildeter Doppelnamen-Mütter walzt auf Dich zu – im Gepäck gute Ratschläge für soziales Miteinander und gewaltfreie Spielideen.
Et voilà, schon sind sie wieder da, deine Alltagsherausforderungen: sozial, gewaltfrei, miteinander und Spielideen.
Du ahnst, dass dir die Besteigung des Mount Everest, ohne Sauerstoffmaske und in Flip-Flops leichter fallen würde, als die Umsetzung dieser gutgemeinten Tipps.
Mein Sohn wollte nicht spielen, schon gleich gar nicht gewaltfrei und auch nicht miteinander. Er wollte sich beweisen, er wollte, wie gesagt, nicht miteinander, sondern gegeneinander, er wollte spontan sein und das vorzugsweise mit einer Nerf oder mit einem Fußball.
Er wollte nicht einfach nur Trampolinspringen, er wollte den „besonderen Kick“, er wollte keine Schatzsuche, er wollte ein Adventure-Race, er wollte nicht Lego oder Playmobil spielen, er wollte mindestens Mountainbiken – wenn Fallschirmspringen schon nicht geht.
Und um aus dieser molekularen Akkumulation von überschüssiger Energie ein sozialverträgliches Mitglied dieser Gesellschaft zu machen, habe ich mir sehr viel einfallen lassen.
Beispielsweise haben wir auf Anraten unserer Kinderärztin mit Golfen angefangen. Inhaltlich gehe ich auf dieses Event in einem anderen Blogartikel nochmal näher ein.
Nur soviel, wir wurden nach zwei Tagen gebeten, unseren Sohn doch beim Rugby und nicht beim Golfen anzumelden und man hat uns anstandslos unser Geld wieder zurückerstattet.
Letztendlich bin ich immer mit gezücktem Feuerlöscher hinter meinem Sohn hergerannt, und habe versucht, die schlimmsten Brandherde sofort im Anschluss zu löschen oder zumindest einzudämmen. Glücklicherweise war ich niemals alleine.
Zwar konnte mein Mann aufgrund seiner familien erhaltenden Tätigkeit nicht ständig und überall mit dabei sein, aber er war dann dabei, wenn die Kohle, die wir aus dem Feuer klauben mussten, besonders heiß waren.
Aber egal, ob man nur ein brennendes Zündhölzchen oder ein braves Lämmchen, oder ein Da-so-mittendrin-Kind hat, Fakt ist, dass unserer Gesellschaft gerne urteilt und das ohne eine Ahnung zu haben, worüber sie urteilt.
Kindern und Jungens werden nur dann ungestörte Freiheiten zugestanden, wenn diese unauffällig und gesittet von statten gehen.
Und gerade in Schulen wird pingelig darüber gewacht, dass typische Jungensspielsachen wie Bälle oder Plastik-Star-Wars-Schwerter als Hexenwerk gebranntmarkt werden. Selbstverständlich hat man diese Spielsachen zu Hause zu lassen, während Stricknadeln oder Zauberstäbe keine Gefahr im Allgemeinen und schon gar nicht für die adäquate Entwicklung der Kinder darstellt.
Mein Aha-Erlebnis der besonderen Art, war die letzte Faschingsfeier in der Grundschule meiner Kinder. Es durften weder Cowboys noch Indianer an der Faschingsfeier teilnehmen und wahrscheinlich wäre die Schulleiterin sofort tot umgefallen, hätte einer der Jungens eine Spielzeugwaffe mit Knallmunition dabei gehabt. Ich vermute, man hätte mit sofortiger Wirkung die Exklusion dieses Kindes beantragt und die Eltern wären aus dem Sozialleben der dörflichen Gemeinschaft ausgeschlossen worden.
All das hört sich jetzt sehr theatralisch an. Und ja, die Bühne des Lebens hat uns sehr gefordert. Wir haben alle ganz schön Federn gelassen in den letzten 15 Jahren.
Gelernt habe ich dabei, dass für ein Kind, wie meinem Sohn und unzählig andere Kinder, der Platz in dieser Gesellschaft sehr klein ist.
Laut, abenteuerlustig und zappelig – nein, sorry – der paßt leider nicht in unsere Schublade.
Mach aus ihm doch ein aufmerksames, braves und ruhiges Kind. Gibt`s da nicht auch Tabletten, oder Erziehung? Soll wirken.
Und diese Aussagen kamen nicht nur von Kindergärtnerinnen, Grundschullehrerinnen und Lehrern aus weiterführenden Schulen – nein, das habe ich auch von anderen Müttern und Vätern zu hören bekommen, deren Sohn, wie sollte es anders sein, sich stundenlang alleine mit Playmobilspielen beschäftigen konnte.
Und nicht nur ich und meine Familie bekamen das regelmäßig direkt oder indirekt zu spüren.
Alle Familien, deren Kinder nicht in die „Fleißig-hübsch-brav-sauber-Schublade“ zu stecken waren, stehen diesem stillen Vorwurf hilflos gegenüber. Und das obwohl Filme wie „Systemsprenger“ hochgelobt werden und Preise ohne Ende abräumen.
Aber Systemsprenger sind immer noch die Ausnahme – dagegen sind diese „nervtötenden Zappelphilippe“ und „schlecht erzogenen Unruhestifter“ mitten unter uns.
Und, da jeder, der schon mal eine Pampers-Werbung gesehen hat, meint zu wissen, wie Erziehung geh, kann man sich vorstellen, wie es Eltern geht, die kein systemtreues Kind haben.
Mittlerweile weiß ich, dass man sich nicht schlecht fühlen muss, wenn der Feuerlöscher mal wieder zu Einsatz kommen muss und dass man um einen Platz in der Gesellschaft kämpfen kann, dass man sich behaupten kann und dass es durchaus Menschen in deinem Umfeld gibt, die die nötige Gelassenheit mitbringen, einen Urlaub oder zumindest einen Nachmittag mit dir und deinem Sohn freiwillig verbringen wollen.
Die ehrlich sind und die natürlich mal auch sagen, dass dies oder jenes doch etwas too-much war, dass sie dich und dein Kind aber keineswegs doof oder nervig finden und deinem Sohn auch ohne Beißzange nahekommen.
Dass es Kinder gibt, die genauso einen Freund haben wollen und unermüdlich zu ihm stehen und dass es Menschen gibt, die dir zuhören und dich nicht mit Hokuspokus nerven.
Die dir trotz alledem Liebe und Achtung und Zeit und halt einfach nur Freundschaft entgegenbringen und bereit sind, die Eistruhe im nächstgelegenen Supermarkt leerzukaufen, wenn das Leben mal wieder besonders hart und ungerecht zu dir und deinem Kind war.
Die kilometerlang mit dir durch den Wald laufen, und darauf warten bis deine Wut sich in Tränen auflöst und dir danach ein sauberes Taschentuch reichen.
Klar, die Reihen der Freunde lichten sich, aber dafür sind diejenigen, die bleiben einfach nur wunderbar und mit Gold nicht aufzuwiegen.
Hier liest du mehr von unserer Gastautorin darüber, was passiert wenn Mütter auf andere Müttern treffen.
Um Mütter im Corona-Chaos geht es hier.
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