Liest du diesen Blogartikel, weil du deine Kinder nicht mehr anschreien möchtest?
Oder möchtest du deine Beziehung zu deinem Partner verbessern, weniger motzen, mehr gemeinsame schöne Zeit? Willst du mit deinen Kolleg:innen klar und konstruktiv auch unbequemes ansprechen?
In diesem Artikel führen wir dich durch die Prinzipien und Wirkweisen der Gewaltfreien Kommunikation – kurz GFK – und geben dir Beispiele für diverse Anwendungsfälle.
Hier kannst du dir unsere Podcast-Episode anhören!
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1. Was ist Gewaltfreie Kommunikation?
Stell dir folgendes Szenario vor:
Du kommst nach einem stressigen Arbeitstag in die Küche und findest riesiges Chaos vor. Dein Partner/deine Partnerin sitzt entspannt auf dem Sofa und liest ein Buch.
Was tust du? Was sagst du?
Evtl. folgendes:
“Sag´ mal, was soll denn das? Du warst schon wieder zu faul, um aufzuräumen, jetzt hängt das alles an mir. Wie immer.”
Was sagt darauf dein Partner? Ich schätze mal nicht:
“Schatz, schön, dass du da bist!”
Nein, höchstwahrscheinlich wird er oder sie sich angegriffen fühlen und im Kampfmodus zurückschlagen. Es kommt zu einem Streit.
2. Was unterscheidet herkömmliche von Gewaltfreier Kommunikation?
Wenn wir uns diese Sätze genau anschauen, finden wir Anschuldigung und Bewertung.
Unsere intuitive Kommunikation basiert ganz oft auf dem Schuldprinzip und bewertet zwischen Opfer und Täter. Der Begründer der Gewaltfreien Kommunikation, Marshall B. Rosenberg, spricht hier von der sogenannten Wolfssprache oder der lebensentfremdenden Kommunikation.
Rosenberg untersuchte, inwieweit Sprache zu Gewalt beiträgt. Er fand heraus, dass wir bei Konflikten unser Gegenüber in den Fokus nehmen. Wir richten den Scheinwerfer von uns weg auf den anderen und drängen das Gegenüber in die Täterrollen, in einen Verteidigungsmodus.
Bei Rosenberg´s Gewaltfreier Kommunikation richten wir hingegen den Scheinwerfer auf uns, auf unsere Gefühle und Bedürfnisse. Wir überlegen, was liegen bei mir für Gefühle und Bedürfnisse vor?
Gewaltfreie Kommunikation ist ein Kommunikations- und Konfliktlösungsprozess, der weg von Anschuldigung und Eskalation hin zu Enfühlungsvermögen und Wertschätzung führt. Rosenberg spricht hier von der Giraffensprache, sinnbildlich für eine friedvolle und gutmütige Kommunikation.
Jetzt denkst du vielleicht automatisch an all deine Konflikte, die du bisher hattest. All diese Konflikte, die zu Frust, Streit, negativen Gefühlen geführt haben, kannst du durch die Gewaltfreie Kommunikation freud- und friedvoll lösen.
3. Wie funktioniert Gewaltfreie Kommunikation?
Die Gewaltfreie Kommunikation besteht aus vier Schritten:
- Beobachtung des Geschehens
- Gefühl wahrnehmen und artikulieren
- Bedürfnis aufspüren und äußern
- Bitte formulieren
3.1 Schritt 1: Beobachtung des Geschehens
Nehmen wir nochmal das Beispiel aus der Küche. “Sag mal, was soll denn das? Du warst schon wieder zu faul, um aufzuräumen, jetzt hängt das alles an mir. Wie immer.”
Hier stecken einige Bewertungen drin:
– Das Gegenüber ist faul
– Alles hängt an mir
– Das Gegenüber räumt nie die Küche auf
Gerade der letzte Punkt kann einen als Gegenüber zur Verzweiflung bringen. Wenn mir jemand vorwirft, dass ich pauschal NIE etwas richtig oder IMMER etwas Falsches mache, bin ich wütend, getroffen und verletzt. Klar, dass es dann zu einem gewaltvollen Streit kommt.
In der Gewaltfreien Kommunikation lassen wir Interpretation (“…weil du faul bist”) und Bewertung (“du räumst nie auf”) hinter uns und tauschen sie gegen Ich-Botschaften und Beobachtung ein.
Hier noch ein Beispiel: Du wartest seit 10 Minuten in einem Meeting auf einen Kollegen.
Als er schließlich aufkreuzt, sagst du: “Du bist schon wieder zu spät!”
Jetzt denkst du vielleicht: Ja, das stimmt ja, er ist ja zu spät. Aber hier handelt es sich nicht um eine Beobachtung, nein, das ist eine Bewertung.
Eine Beobachtung wäre hier: “Unser Meeting ist um 9 Uhr angesetzt gewesen. Jetzt ist es 9.10 Uhr.”
Du siehst, wir dürfen umdenken.
Bewertungen bieten sehr viel Angriffsfläche für Missverständnisse und Missinterpretationen.
3.2 Schritt 2: Gefühle wahrnehmen und artikulieren
Was empfindest du, wenn du deinen Partner auf dem Sofa lesend vorfindest, während die ganze Arbeit in der Küche an dir hängenbleibt? Was empfindest du, wenn du bei Meetings versetzt wirst? Was, wenn deine Kinder das Haus verwüstet haben, kurz nachdem du alles aufgeräumt hattest?
Bestimmt z.B. Wut, Trauer etc. Das Problem ist, dass wir diese Gefühle in Anschuldigungen verstecken, anstatt sie zu benennen, mit dem Ziel Verständnis zu erhalten.
Genau das fordert Rosenberg. Wir Menschen sollen uns wieder mehr auf unsere eigenen Gefühle besinnen. Wenn wir uns deren bewusst sind, sind wir reflektierter und automatisch friedvoller in unserer Kommunikation.
Auch wenn du die konkrete Vorgehensweise der Gewaltfreie Kommunikation noch nicht kennst, kannst du jetzt schon anfangen, dir darüber bewusst zu werden, was du im letzten Konflikt gefühlt hast.
Halt! Eine kleine Besonderheit gibt es noch: Viele Gefühls-Worte, die wir benutzten, sind nicht so gut geeignet, weil sie implizit das Gegenüber verantwortlich machen. Zum Beispiel: verletzt. Dieses Gefühl impliziert automatisch, dass jemand uns verletzt hat. Es ist ein passives Wort, das das Gegenüber so verstehen kann, dass er/sie uns verletzt hat.
Hier sind einige aktive, gute Gefühls-Worte, die du nutzen kannst:
Positive Gefühle bei erfüllten Bedürfnissen
angeregt • aufgedreht • ausgeglichen • befreit • begeistert • belebt • berührt • beruhigt • bewegt • energiegeladen • engagiert • enthusiastisch • entschlossen • entspannt • entzückt • erfreut • erfüllt • erleichtert • fasziniert • friedlich • fröhlich • gelassen • gerührt • glücklich • gut gelaunt • heiter • hoffnungsvoll • inspiriert • kraftvoll • klar • lebendig • leicht • liebevoll • motiviert • munter • mutig • neugierig • optimistisch • ruhig • satt • selbstsicher • selbstzufrieden • sicher • sich freuen • still • überglücklich • unbekümmert • unbeschwert • vergnügt • verliebt • wach • weit • zärtlich • zufrieden • zuversichtlich
Negative Gefühle bei unerfüllten Bedürfnissen
ängstlich • ärgerlich • alarmiert • angeekelt • angespannt • voller Angst • apathisch • ausgelaugt • bedrückt • beklommen • besorgt • bestürzt • betroffen • bitter • deprimiert • dumpf • durcheinander • einsam • elend • empört • enttäuscht • erschöpft • erschüttert • frustriert • gelähmt • gelangweilt • genervt • getrieben • haßerfüllt • hilflos • in Panik • irritiert • kalt • leblos • miserabel • müde • mutlos • nervös • niedergeschlagen • perplex • traurig • sauer • schlapp • schockiert • sorgenvoll • streitlustig • teilnahmslos • todtraurig • tot • überwältigt • voller Sorgen • unglücklich • unter Druck • unbehaglich • ungeduldig • unruhig • unwohl • unzufrieden • verärgert • verzweifelt • wütend • zitternd • zögerlich • zornig
Lass uns jetzt den dritten Schritt genauer betrachten!
3.3 Schritt 3: Bedürfnis aufspüren und äußern
Was brauchst du? Welches Bedürfnis hast du, wenn du die Küche wieder unaufgeräumt vorfindest?
Darum geht es im dritten wichtigen Schritt. Du siehst schon, es ist ein bisschen Arbeit, das Gewaltfreie Kommunikation-Schema erfolgreich zu verwenden. Es erfordert Persönlichkeitsarbeit und Reflexion. Das lohnt sich: Es ist so wichtig, unseren Mitmenschen mitzuteilen, was wir brauchen. Nur dann können die anderen sich auf uns einstellen und uns entgegenkommen. Die Gefühle und Bedürfnisse stehen in engem Zusammenhang, denn unsere Gefühle geben Auskunft über unsere Bedürfnisse. Fühlst du dich glücklich? Dann sind wahrscheinlich deine Bedürfnisse gerade erfüllt. Bist du traurig, wütend? Dann gibt es bestimmt unerfüllte Bedürfnisse.
Nehmen wir nochmal das Beispiel mit der Küche: Was ist dir da wichtig? Was brauchst du von deiner Partnerin / deinem Partner? Ist es Wertschätzung, Anerkennung, Verlässlichkeit? Eine Liste an Bedürfnissen findest du hier:
Bedürfnis-Sammlung:
Sicherheit • Beständigkeit • sich sicher fühlen • Leichtigkeit • Stabilität • Geborgenheit • Vertrauen • Halt • Frieden • Fairness • Schonender Umgang mit Ressourcen • Kreativität • Muße • Schönheit • Selbstausdruck • Etwas erschaffen • Entdeckerfreude • Lernen • Anreize bekommen • Inspiration • Verständnis • Einführungsvermögen/Empathie • Akzeptanz • Gesehen werden • Harmonie • Sinn & Spiritualität • Identität • Authentizität/ Echtheit • Wachstum • Bildung • Integrität • Präsenz • Bewusstheit • Herausforderung • Klarheit • Hoffnung • Bewusstsein • Trauer • Ordnung • Selbstwert • Effizienz • Erholung • Schlaf • Ruhe • Heilung • Kraft • Liebe/ Intimität • Zuneigung • Wohlwollen • Wertschätzung • Unterstützung • Wärme • Nähe • im Einklang sein • Verbindung • Fürsorge • Zugehörigkeit • Gemeinschaft • Sexualleben • Anerkennung • Rücksichtnahme • Ehrlichkeit • Offenheit • Autonomie • Freiheit • Selbstbestimmung • Wählen können • Unabhängigkeit • Raum haben • Entlastung • Spontanität • Spiel • Feiern • Freude • Humor • Geselligkeit
3.4 Schritt 4: Bitte formulieren
Der letzte von vier Schritten ist unsere Bitte an unser Gegenüber. Wenn wir uns unser Küchenbeispiel anschauen, dann ist hier keine Bitte enthalten. “Sag´ mal, was soll denn das? Du warst schon wieder zu faul, um aufzuräumen, jetzt hängt das alles an mir. Wie immer.”
Wir haben Dampf abgelassen und den anderen angegriffen. Mehr nicht. Hier soll die Bitte helfen, konstruktiv dem anderen die Chance zu geben, das zuvor unbefriedigte Bedürfnis zu stillen.
Wichtig: Unterscheide hier zwischen Forderung und Bitte. Oftmals denken wir doch, wir wüssten, was richtig ist. Im Küchenbeispiel könnte zu Guter Letzt auch eine Bitte angehängt werden: “Räum bitte in Zukunft die Küche auf!”
Du lachst? Ja, natürlich hätte diese Arte von Bitte dem Ganzen noch die Krone aufgesetzt. Und rate mal, ob der Partner aus dem Wohnzimmer diese Bitte in Zukunft umgesetzt hätte? Eher nein. Hier kommt ein wichtiger Faktor ins Spiel: Wir können unser Gegenüber nicht verändern. Vor allem wenn so eine als Bitte getarnte Forderung an uns gerichtet wird, sind wir eher im Trotz und machen gar nichts.
Darum unser Tipp: Überlege dir, welches Ziel du mit deiner Bitte verfolgst! Möchtest du jemanden verändern, deinen Willen durchsetzen, dann ist Gewaltfreie Kommunikation nicht das geeignete Mittel. Dieser Prozess ist für Menschen entwickelt worden, die möchten, dass der andere auf sie reagiert und sich ändern, aber nur dann, wenn das freiwillig tut.
Das Ziel der Gewaltfreien Kommunikation ist es, Beziehungen aufzubauen, deren Basis Offenheit und Mitgefühl ist.
Viele denken, dass Gewaltfreie Kommunikation dann gelungen ist, wenn am Ende Zustimmung herrscht, das Gegenüber einwilligt, die Bitte zu erfüllen und Friede, Freude, Eierkuchen herrscht. Dem ist nicht so! Das Ziel der Gewaltfreien Kommunikation ist es, Beziehungen aufzubauen, deren Basis Offenheit und Mitgefühl ist. Grundlegend ist dabei eine Akzeptanz des Gegenübers.
4. Wann funktioniert Gewaltfreie Kommunikation nicht?
Als ich – Olivia – im Jahr 2005 meine Ausbildung in Gewaltfreier Kommunikation abgeschlossen hatte, war ich im siebten Himmel. Es war ein wunderschöner Tag und ich wollte nach meiner Abschlussprüfung meinen Freund, der jetzt mein Mann ist, im Englischen Garten in München treffen.
Als ich ankam, überhäufte ich ihn mit meinen neugewonnenen Erkenntnissen und wollte ihn bitten, dass er selbst auch Gewaltfreie Kommunikation in Zukunft anwendete. Dazu trug ich meine zuvor überlegten 4-Schritte Sätze vor. Ein paar Sätze später stritten wir uns so heftig, wie noch nie zuvor.
Es gibt einige Menschen, die kritisieren, dass Gewaltfreie Kommunikation trotz guter Anwendung, so wie auch in meiner geschilderten Situation, nicht funktioniert.
Rosenberg sagt dazu: “Wenn wir mit dem Erlernen des Prozesses am Anfang stehen, dann merken wir vielleicht, dass wir die Komponenten der Gewaltfreie Kommunikation noch mechanisch anwenden, ohne uns über die zugrundeliegenden Absichten bewusst zu sein.”
Dabei sind diese zugrundeliegenden Absichten, die ehrliche, tiefgehende Selbstreflexion der eigenen Gefühle und Bedürfnisse und die Akzeptanz und Wertschätzung des Gegenübers und dessen Handlungen und Entscheidungen, grundlegend.
Das Problem ist aber, dass wir in manchen Momenten nicht die richtigen Grundvoraussetzungen erfüllen, das Schema anzuwenden.
Das kann sein, weil uns eine wichtige Deadline in der Firma davonläuft oder wir überfordert als Elternteil sind. Kurz gesagt, wenn unser Energiefass leer ist. Hier noch empathisch und akzeptierend mit unseren Kolleg:innen, Kindern oder Partner:innen zu sprechen – Puhh, ganz ehrlich: schwierig!
Der Schlüssel ist eine ruhige, gelassene Haltung.
Mit dieser ruhigen, inneren Haltung, in der ich im Jahr 2005 auch nicht war, können wir uns selbst reflektieren, Gefühle wahrnehmen, ohne überzuschäumen und empathisch mit dem Gegenüber sprechen.
Auch diese Haltung ist eine Sache des Trainings. Es gibt zahlreiche Methoden, deine Gelassenheit und Resilienz zu trainieren.
Wenn dir die gelassene Haltung für die Anwendung der Gewaltfreie Kommunikation noch fehlt, dann kannst du bei uns alltagsnah und ganz praktisch lernen, wie du sie gezielt stärken kannst: Setze dich auf die Warteliste für unser Glücksheldin-Programm für Mütter.
5. Wie kannst du jetzt mit Gewaltfreie Kommunikation starten?
Gehe folgende Schritte für dich durch – gerne auch (hand-)schriftlich:
- Welchen Konflikt möchtest du auflösen?
- Warum kommt es zum Konflikt? Richte jetzt das Scheinwerferlicht auf dich! Welches Gefühl kommt sofort hoch, wenn du daran denkst? Nimm dir hier Zeit und gleiche gerne mit der Gefühlsliste oben ab!
- Welches dahinterstehende Bedürfnis ist bei dir gekränkt? Nimm´ dir hier die Bedürfnisliste zur Hand.
- Jetzt notiere dir anhand folgenden Lückentextes deinen Gewaltfreie Kommunikation-vier Schritte-Satz:
5. Passe einen Moment ab, in dem dein Energiefass gut gefüllt ist und sprich mit der anderen Person.
Zu guter Letzt lass uns noch unser Küchenbeispiel auflösen, bzw. in gewaltfreier Sprache formulieren.
Anmerkung: Das ist eine Variante. Deine Variante kann ganz anders aussehen.
„Oh, ich sehe, dass noch einiges in der Küche herumsteht. Ich bin (fühle mich) müde, weil mir Rücksichtnahme sehr wichtig ist. Ich bitte dich, dass wir uns hinsetzen und einen gemeinschaftlichen Plan machen, wer wann die Küche aufräumt.“
Das mag nicht deine Sprachweise sein und erst einmal unnatürlich wirken. Das macht nichts, denn du kannst jetzt anfangen zu üben und dir die Gewaltfreie Kommunikation immer mehr zu eigen machen.
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